Leid und Freud in unserem Projekt in Jagatpura/Indien

Kanta Die kleine Kanta, die Sie auf dem Foto sehen, ist etwa sieben oder acht Jahre alt. Irgendwann kam sie in unsere Sprechstunde in der Khejri-Clinic in Jagatpura. Sie hatte nichts Schlimmes, aber bei der Untersuchung fiel mir auf, dass das Mädchen nahezu blind war. Es war mit einem grauen Star auf beiden Augen geboren worden.
Natürlich wussten die Eltern um den Zustand ihrer Tochter, aber eine Behandlung – eine Operation – können sie sich nicht leisten. Monatlich verdienen sie zusammen etwa 2000 Rupien, das als absolute Armutsgrenze festgelegte Minimaleinkommen liegt in Indien bei 1500 Rupien, umgerechnet DM 75. Der Vater ist Gelegenheitsarbeiter, die Mutter arbeitet auch manchmal mit, hat aber noch zwei weitere kleine Mädchen zu versorgen. Diese sind glücklicherweise gesund und können sehen.
Kanta macht auf mich einen aufgeweckten Eindruck, sie kann zählen und ein bisschen rechnen, lesen kann sie natürlich nicht. Sie ist auch nicht apathisch oder sitzt untätig herum, sondern tollt mit ihren Schwestern umher so gut es geht, gelegentlich mit erstaunlich viel Geschick. Eine Schule für sehschwache Kinder gibt es in Jaipur und Umgebung nicht, die Eltern könnten sie auch nicht bezahlen. Aber das kleine Mädchen ging mir nicht aus dem Sinn. Schließlich besprach ich ihren Fall mit dem bei uns an Sonntagen tätigen Augenarzt, Dr Bhargava, und er erklärte sich bereit, die Kleine unentgeltlich zu operieren. Nur den Preis für die einzusetzenden Kunstlinsen müssten wir aufbringen, etwa 6000 Rupien.
Solche Extraausgaben für Kanta oder ähnliche Patienten sind in unserem Etat leider nicht vorgesehen, aber kaum hatte ich einigen Freunden von dem Mädchen erzählt, war das Geld schon zusammengesammelt! Ich bin dafür sehr dankbar! Inzwischen ist das linke Auge mit Erfolg operiert worden, das rechte wird in etwa zwei Monaten folgen. Nun braucht Kanta nur noch eine Sehschulung, die Dr. Bhargava auch unentgeltlich mit ihr durchführt, und dann wird sie in die Schule gehen können. Das haben wir mit den Eltern vereinbart, und ich werde es nachprüfen, wenn ich wieder in Jagatpura sein werde.

Noch eine junge Frau hat mich während meines letzten Aufenthalts in unserem Projekt sehr beeindruckt: Anokhi. Anokhi ist dreißig Jahre alt und leidet seit zwölf Jahren an Tuberkulose. Im Anfangsstadium wurde die Erkrankung behandelt, aber leider ohne anhaltenden Erfolg. Anokhi hörte nie auf zu husten und wurde ständig schwächer. Im vergangenen Jahr kam sie im Rahmen des Tuberkulose – Behandlungsprogramms in unsere Obhut und war seitdem eine der treuesten und konsequentesten Patientinnen. Sie ließ keinen Behandlungstermin aus, kam auch bei schlechtestem Wetter und übelsten Wegeverhältnissen, um ihre Medizin abzuholen und sich den notwendigen Kontrollen zu unterziehen. Es sieht so aus, als sei die Krankheit jetzt zum Stillstand gekommen. Die junge Frau fühlt sich wohl, ist fröhlich und hoffnungsvoll. Betrachtet man als Arzt das Röntgenbild ihrer Lunge kann man nur bewundernd auf diese Patientin schauen: die linke Lunge ist völlig zerstört und enthält keinerlei atmendes Gewebe mehr. Eigentlich müsste Anokhi in ihrer Leistungsfähigkeit sehr beeinträchtigt sein. Aber sie hat keine Zeit darüber nachzudenken! Ihr Ehemann ist geistig behindert, sie muss ihn ernähren, außerdem hat sie zwei Töchter und die Schwiegermutter zu versorgen. Sie verdient ein wenig Geld damit, Blumen und Büsche in einem öffentlichen Park zu bewässern. Glücklicherweise hat sie dafür einen Schlauch zur Verfügung, denn Wasserkannen könnte sie mit ihrer reduzierten Kraft nicht tragen.
Unser ganzes Team ist stolz auf diese junge Patientin, die mit soviel Mut und Willenskraft ihre Krankheit besiegt und ihr Leben meistert. Hoffentlich bleibt ihr Gesundheitszustand so wie er jetzt ist....

Bitte helfen Sie uns auch weiterhin, Menschen wie Kanta und Anokhi zu unterstützen!

Dr. Marianne Jansen