Khejri-Verein Bremen Hamburgerstraße 97
23205 Bremen
1. Dezember 2003
email hjansen@fbawg.hs-bremen.de

Dr. Marianne Jansen

Liebe Freunde und Förderer des Khejri - Vereins,

das Datum, an dem dieser Brief geschrieben wird, kann vieles entscheiden: es sind Wahlen in Rajasthan, "Landtagswahlen". Bis heute regierte die Congress Partei mit einer satten Mehrheit, - das kann sich ändern. Bis heute hat kein Politiker und keine Dienststelle es gewagt, die Verwirklichung der geplanten Straße durchzusetzen, (ich berichtete darüber in meinem letzten Bericht), auch das kann sich ändern. Im Augenblick sind wir nicht in der Lage irgendwelche Voraussagen zu treffen und schwanken stets zwischen Hoffnung und Resignation. Die unsichere Lage hindert uns natürlich auch daran, irgendwelche weitergehenden Investitionen zu machen. Wir beschränken uns auf die Fortführung dessen, was im Augenblick vorhanden ist.
Und unser Projekt läuft weiterhin gut! Wir haben viele und zufriedene Patienten, wir sind hinreichend ausgestattet, um eine gute Diagnostik und Therapie betreiben zu können, aber einen An - oder Ausbau, der eigentlich dringend erforderlich wäre, wagen wir nicht. Ein weiteres Behandlungszimmer wäre notwendig, ein Beobachtungsraum für Patienten, die Infusionen bekommen, ein größeres Lager für Medikamente, ein Extraraum für das Ultraschallgerät. Letzterer ist vorgeschrieben, und bei Erteilung der Betriebserlaubnis haben wir versprochen, einen solchen einzurichten. Auch die Schaffung einer zahnärztlichen Behandlungseinheit steht nach wie vor auf der Agenda; Pläne existieren bereits, aber leider kein Raum.
Seit Juli diesen Jahres ist die "mobile clinic" eine ständige Einrichtung geworden: montags in Kho Nagoria, mittwochs in Dantli, freitags in Khatipura. Das Fahrzeug ist mit zwei Ärzten, einer Krankenschwester, einem Fahrer und einer Schreibkraft für die Patientenregistrierung besetzt. Dr. Hanuman Singh, einer der beiden doctores brach sich kurz nach meiner Ankunft im September den Fuß und fiel bis zum 1. Dezember aus. Gut, daß ich ihn vertreten konnte, denn durchschnittlich vierzig Patienten an einem Nachmittag zu behandeln, überfordert selbst die sehr schnell arbeitende Frau Dr. Bajaj. Sollte die Patientenzahl noch größer werden, ist geplant, die Standplätze zweimal in der Woche anzufahren, bleibt es bei der gegenwärtigen Auslastung, werden noch ein oder zwei neue Orte hinzukommen. Unsere Fahrten nutzen vornehmlich alten und chronisch kranken Patienten, die den weiten Weg zu unserer Praxis nicht mehr bewältigen können und denen wir auf diese Weise das Leben ein wenig erleichtern. Es ist beglückend, schon geduldig wartende Patienten zu sehen, wenn wir das Dorf erreichen! Auch Mütter, die ihre Kinder impfen lassen wollen, freuen sich über die Zeitersparnis.
Dantli ist einer der hübschesten Orte, in die wir fahren. Daß wir auf dem Sandweg dorthin noch nicht umgekippt oder steckengeblieben sind, verdanken wir der Fahrkunst unseres Rajendran. Unser Mobil hält vor einem kleinen Tempel, unter einem großen Banjan tree (ficus bengalis). Im Grün des Baumes kreischen Papageien, Ziegen fressen um uns herum die letzten Grasbüschel, in der Ferne ist ein hoher, kahler Felsen zu sehen. Die dörfliche Kulisse wird noch unterstrichen durch herumlaufende Kühe, Schweine, Hunde und die um diese Zeit abgeernteten Felder ringsherum. Frau Dr. Bajaj kann zur Behandlung der Frauen innerhalb des Wagens sitzen, der andere Doktor muß draußen an einem kleinen Tisch Platz nehmen, natürlich stets umringt von vielen Zuschauern. Die Patienten stört das nicht. Und da es jetzt im Winter schon früh dunkel wird, muß man gelegentlich auch beim Schein einer Taschenlampe arbeiten....
Kho Nagoria ist weniger idyllisch. Es ist ein Straßendorf, durch das ständig schwere Lastwagen donnern. Entsprechend ist der Lärm. Unser Standort vor der Schule, mitten im Dorf ist sehr unruhig, die auf dem Dorfplatz spielenden Kinder sind weniger an einem ruhigen Ablauf unserer Arbeit, als an unserer Ausrüstung und den Möglichkeiten, irgendeinen Teil davon zu ergattern, interessiert. Vielleicht machen die Stadtnähe und der ständige Lärm besonders agressiv.
In Kathipura sind die Verhältnisse wieder einfacher: ein Dorf mit einer Zentraleinheit und vielen, über eine große Fläche verteilten Weilern. Kamlesh Meena, die dort ansässige Anganwari, - eine Art Krankenschwester, die primärmedizinische Aufgaben übernimmt - , ist für uns die Kontaktperson. Sie sorgt dafür, daß unser Standplatz an der Schule vorbereitet ist, daß wir dort sogar einen Raum für den zweiten Arzt zur Verfügung haben, daß der Ablauf geordnet und übersichtlich ist. Auch bringt sie besonders gefährdete Patienten dazu, uns zu konsultieren.

Puram, der Junge, von dem ich im letzten Brief berichtete, ist gestorben. Sicher, er war sehr krank, aber unter anderen sozialen Verhältnissen hätte er eine längere Lebensdauer und eine bessere Lebensqualität haben können. Unsere Mittel und auch unsere Möglichkeiten waren hier nicht ausreichend. Gleiches gilt für einen 35jährigen Familienvater, der jetzt zu uns kommt. Er leidet an einer chronischen myeloischen Leukose; alle Hilfsgelder, die in irgendeiner Form und von diversen Stellen zu beantragen und zu erhalten waren, hat er bereits in Anspruch genommen. Die jetzt vom Krebszentrum in Bombay vorgeschlagene Therapie - sie kostet etwa 1200 Rupien pro Woche - können wir nicht bezahlen. Zusätzlich braucht er alle zwei Wochen eine Bluttransfusion. Auch diese ist teuer und schwer zu bekommen. Von den Patienten oder ihren Familien wird erwartet, daß sie Blutkonserven "ersetzen", d.h. Freunde oder Verwandte überreden, Blut zu spenden. Diese Methode mag für eine geringe Anzahl erfolgreich sein, für unseren Patienten ist sie nicht praktikabel. Auch bei ihm sind wir an den Grenzen unserer Möglichkeiten angekommen.
Aber ich will Ihnen nicht nur von den traurigen Fällen berichten, wir haben auch beglückende Erfolge! Bei Saida konnten wir, nachdem sie andernorts seit Monaten erfolglos behandelt worden war, einen tuberkulösen Ascites diagnostizieren und sie in das entsprechende Krankenhaus einweisen; Ramu hatte einen faustgroßen Abszess in der Leiste, den wir drainieren und kurieren konnten, die zwölfjährige Anjali ist nach Behandlung ihrer Lymphknotentuberkulose als geheilt anzusehen. Und viele Patienten kommen mit recht alltäglichen Beschwerden, ein paar Tage nach der Behandlung melden sie sich wieder gesund und arbeitsfähig, - auch das ist Erfolg für uns!

Wir danken Ihnen allen für ein erfolgreiches Jahr, für die Hilfsmöglichkeiten, die Sie uns durch Ihre Spenden geben. Lassen Sie uns und unsere Schützlinge nicht im Stich, auch wenn ich Ihnen im Augenblick keine deutlichen Zukunftsperspektiven eröffnen kann.
Seien Sie aber versichert, daß wir Sie sofort informieren, sobald in Rajasthan und damit in Jagatpura irgendwelche Entscheidungen getroffen werden.
Die Spendenbescheinigungen werden wie immer im Januar ausgestellt und Ihnen zugeschickt werden. Mit den besten Wünschen zu Weihnachten und zum Jahreswechsel Namaste aus Indien!

(Marianne Jansen)

Konto 760 Bankhaus Plump BLZ 290 304 00