Khejri-Verein e.V. Hamburgerstraße 97
23205 Bremen
0421-498 44 64
email hjansen@fbawg.hs-bremen.de
Liebe Freunde und Förderer des Khejri-Vereins,

lange habe ich gezögert, den Bericht anzufangen; immer wieder war ich versucht, auf neue Nachrichten zu warten, um eventuelle Entwicklungen auch gleich mitteilen zu können. Aber bei der Straßenplanung tut sich nichts. Weiterhin ist völlig unklar, ob und wie wir hier weiterhin bestehen können. Gerichtstermine werden verschoben, von den beteiligten Parteien nicht wahrgenommen, kurzfristig abgesetzt. Immer neue Argumente für und gegen den Straßenbau werden ins Feld geführt. In der Hindustan Times war vor ein paar Tagen zu lesen, daß die Stadtverwaltung in Jaipur mit Erstaunen zur Kenntnis genommen habe, daß auf neuen Satellitenaufnahmen plötzlich Industriegebiete im "green belt" von Jaipur zu sehen sind, daß Wohnsiedlungen dort entstanden, wo wegen des fruchtbaren Bodens nur Felder sein sollten, daß Anlagen mit reichlich Schadstoffen in der Abluft ausgerechnet in "Luv" angelegt worden sind. Solche Planungspannen gibt es viele und man kann daraus entnehmen, daß einfach keine Vorhersagen möglich sind.

Das ändert nichts daran, daß die Anzahl der Patienten, die uns aufsucht, mit jedem Jahr größer wird. An arbeitsreichen Tagen behandeln wir etwa einhundert, morgens im "health centre", nachmittags in oder neben unserer "mobile clinic". Viele kommen von weit her, häufig, nachdem sie auch schon andere "Ärzte" in Anspruch genommen haben. Diese Ärzte in Anführungsstrichen sind sogenannte RMP (registered medical practitionners), die sich auf dem Dorf niederlassen. Eine Ausbildung haben sie nicht, im günstigsten Fall waren sie einmal als Pfleger in einem privaten Krankenhaus oder als Handlanger bei einem Arzt tätig. Oft haben sie auch gar keine Verbindung zu medizinischen Institutionen gehabt, sich ihre Kenntnisse selbst angeeignet. Leider beschränken sie sich nicht auf das Verbinden von Wunden oder das Verabreichen von Arzneien gegen Erkältungen oder Durchfall, sondern geben Infusionen, Spritzen, hochdifferenzierte Medikamente, besonders gern hochdosierte Corticosteroide. Auch die Auswahl an Diagnosen ist nichts besonders groß: andauerndes Fieber ist in der Regel "Typhus", Husten bei Kindern "Lungenentzündung", juckende Hauterscheinungen "Allergie". Eine Patientin, bei der ich einen ausgedehnten Befall mit Krätzemilben fand, ließ mich wissen, sie habe bei ihrem RMP bereits neun Spritzen bekommen und nichts habe geholfen. (Die Behandlung der Milben hatte ziemlich schnell Erfolg!) Krätze ist hier überhaupt sehr verbreitet. In allen Familien teilen sich mehrere Mitglieder eine Bettstelle, so daß die Erkrankung von ganzen Familienverbänden die Regel ist. Nachdem wir anfangs viele Male täglich unsere Empfehlungen für die Behandlung wiederholt haben, nahmen wir sie schließlich auf ein Tonband auf, das wir den Patienten jetzt vorspielen. Inzwischen, meint unser Dermatologe, habe die Anzahl der Scabiesfälle erheblich abgenommen.

Jedesmal, wenn ich nach der Sommerpause zurückkomme, fehlen ein paar Patienten, meist solche, für die wir besondere Anstrengungen unternommen hatten: der leukämiekranke Familienvater ist gestorben, die kleine Sarita, die mit zwölf Jahren nur noch etwas über 20 kg wog und an Miliartuberkulose litt, ist auch nicht mehr da, ebenso Bhouri, mit dem Tumor in der rechten Augenhöhle. Aber freudig begrüßen mich Wazeem, der an einer chronischen Osteomyelitis des Oberschenkels leidet und nun wenigstens wieder gehen und die Schule besuchen kann, Miryam, deren Tuberkulose wohl geheilt ist, Asha, die nach langer Sterilitätsbehandlung durch Frau Dr. Bajaj nun doch endlich ein Baby bekommen und in ihrer Familie einen viel leichteren Stand hat. Und neue Problemfälle kommen hinzu. Jeetu wurde mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren und muß dringend operiert werden. Seine Mutter versucht, ihn zu stillen, aber die Nahrungsaufnahme des Kindes ist natürlich erheblich beeinträchtigt. In der Kinderchirurgie, in der wir Jeetu vorstellten, will man ihn erst operieren, wenn er ein Gewicht von 5 kg erreicht hat. Man gab der Mutter ein Faltblatt mit, in dem geschrieben stand, wie den Schwierigkeiten bei der Fütterung zu begegnen ist. Die Mutter kann aber nicht lesen... Sicher, es wird jemanden im Dorf geben, der ihr das Pamphlet vorlesen kann, aber dieser Verlauf zeigt einmal mehr, wie wenig sich manchmal selbst die Ärzte kümmern. Ende November haben wir wieder einmal ein großes Camp veranstaltet, d.h. wir sind mit allem Personal und den diagnostischen Geräten, die sich transportieren lassen, in ein entfernteres Dorf gezogen. Sie können sich vorstellen, daß das eine große logistische und organisatorische Leistung ist. Zunächst muß ein geeignetes Gelände gesucht werden, wo wir ein Zelt aufbauen können, dann muß die Erlaubnis der "Dorfverwaltung" eingeholt werden, dann müssen Handzettel gedruckt und verteilt werden. Letzteres erfordert einen Einsatz von mehreren Kräften an zwei/drei Tagen, da die Fortbewegung auf Sandwegen zwischen den weit verstreut liegenden Dörfern recht zeitraubend ist. Der Transport und der Aufbau von Zelt und Sitzgelegenheiten muß organisiert werden, auch der Transport von Geräten, Medikamenten, Lampen, Wasserbehältern. Der Augenarzt braucht einen abgedunkelten Raum, die Gynäkologin einen abgeschlossenen, für das Ultraschallgerät brauchen wir eine Stromquelle. Registrierung der Patienten und - im Anschluß an den Arztbesuch - Medikamentenausgabe erfordern genaue Raumplanung, um Gedränge und Menschentrauben zu vermeiden. 439 Patienten haben wir an diesem Tage gesehen, behandelt und eventuell weitergeleitet! Wir, das waren sieben Ärzte, sechs Krankenschwestern, ein Laborant, ein Optiker, drei Kräfte für die Medikamentenausgabe, vier Personen bei der Registrierung, ungezählte Hilfskräfte bei Aufbau, Transport und Regelung der Patientenströme. Natürlich können wir einen solchen Aufwand höchstens einmal im Jahr treiben, aber der Erfolg ist überwältigend. Viele außergewöhnliche Fälle gehen bei solchen Gelegenheiten durch unsere Hände, viele der Patienten wissen gar nicht, daß ihnen geholfen werden kann! Schon dafür lohnt sich die Mühe.

Im kommenden Februar sind wir zehn Jahre hier! Ein wenig stolz sind wir schon, daß mit Ihrer Hilfe wir soviel erreicht haben. Für viele chronisch kranke Patienten ist das Leben erträglicher geworden, es kümmert sich jemand um sie, es hört ihnen jemand zu. Akut kranke Patienten sind nach der Behandlung wieder gesund geworden, konnten weiter in Familie und Dorf arbeiten, manch einen bedrohlichen und sicher im Ende tödlichen Verlauf konnten wir abwenden. Auch in Schulung und Beratung haben wir Fortschritte gemacht. Junge Mütter sind jetzt besser informiert über Entwicklung und Ernährung der Kleinkinder, Schulkinder haben wenigstens Kurse in Hygiene und Ernährungslehre durchlaufen, mit Lehrern haben wir Erste Hilfe - Kurse veranstaltet, damit sie im Notfall wissen, was zu tun ist. Für besonders schwere und traurige Fälle haben wir unsere Sonderfonds genutzt, um Operationen oder teure Behandlungen zu bezahlen, die meisten Schulkinder in unserer Gegend sind wenigstens ein-/zweimal untersucht worden, etwaige auffällige Befunde haben wir weiter verfolgt. Unsere Ausrüstung entspricht der einer großen Landpraxis. Wir können für unsere Diagnostik EKG und Ultraschall einsetzen, seit Ende dieses Jahres verfügen wir auch über ein leistungsfähiges Photometer, das wir mit viel Mühe hierher transportiert haben. Das Gerät selbst war ein Geschenk meines früheren Krankenhauses. Unser Laborant strahlt übers ganze Gesicht, - selbst das hiesige Medical College ist nicht besser ausgestattet. So können wir nun eine Reihe von Untersuchungen, die wir bisher in privaten Praxen gegen Bezahlung durchführen ließen, selbst erstellen.

Ohne Ihre Hilfe, die den Grundstock für diese ärztliche Versorgung gebildet hat und unsere Bemühungen immer noch unterhält, wäre ein solches Unterfangen gar nicht möglich gewesen. Wir haben von so vielen Seiten Hilfe erfahren, daß wir zeitweise richtig gerührt waren. Den Lohn der Patienten haben wir in Form eines Lächelns, eines ehrerbietigen Berührens der Füße, eines Verneigens mit dankbarem "Namaste" bekommen. Auch das war gelegentlich anrührend. Wir wollen dieses Projekt gern fortsetzen, wenn man uns läßt..... Ihnen allen sagen wir unseren Dank!

Die ganze Khejri Mannschaft wünscht Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes Neues Jahr! Die Spendenquittungen werden Anfang Januar von Herrn T. Sixt ausgedruckt und verschickt werden.

(Marianne Jansen)

Konto 760 Bankhaus Plump BLZ 290 304 00