Khejri-Verein e.V. Hamburgerstraße 97
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Dezember 2005
Liebe Mitglieder und Freunde des Khejri-Vereins,

nicht nur bei uns in Europa ist Winter. Auch Jagatpura, ja noch auf der Nordhalbkugel gelegen, verzeichnet absinkende Temperaturen. Am Tage ist es freundlich mit etwa 25° C, in der Nacht braucht man bei 3° und ungeheizten Gebäuden schon gelegentlich eine Wärmflasche. Die Menschen, die ein Haus haben, ziehen sich dorthin zurück, die anderen machen sich draußen ein Feuer an, um ein bißchen Wärme zu genießen.

Glücklicherweise ist es bei uns auch nicht so kalt wie in Kashmir, wo vom Erdbeben betroffene Menschen immer noch in Zelten hausen müssen. In Rajasthan haben wir das verheerende Erdbeben im Oktober zwar gespürt, - der Tisch, an dem ich gerade schrieb, wackelte heftig, - Häuser oder Hütten sind aber nicht zerstört worden. Auch Menschen kamen in unserer Gegend nicht zu Schaden. Selbst der Monsun war in diesem Jahr ausreichend und zur rechten Zeit, auch daran läßt sich nicht kritteln. Die Bauern, die noch Landwirtschaft betreiben, können auf eine recht gute Ernte hoffen.

In unserer Umgebung jedoch wird die Anzahl der Felder immer geringer. Sehr viel Land ist von großen Wohnungsbaugesellschaften aufgekauft worden. Nicht weit von unserer clinic entfernt entsteht eine Siedlung für etwa 20 000 Einwohner. Die Häuser werden in Form von Reihenhäusern angelegt, verfügen über Elektro- und Wasseranschlüsse. Der Preis für ein solches Domizil ist von armen Leuten nicht aufzubringen, es wird wohl eine Mittelstandsgegend werden. Über die geplante Straße, die dorthin führen soll, habe ich ja schon mehrfach berichtet, - eine Entscheidung ist bis heute nicht gefallen. Erst kürzlich berichtete eine Tageszeitung in Jaipur, die Straße solle nun doch etwas schmaler gebaut werden, - unser Gebäude wäre dann gerettet - , aber der Wahrheitsgehalt solcher Artikel läßt sich nicht überprüfen, die Planungsorganisationen geben keine präzisen Auskünfte. Wir leben weiter mit der Bedrohung, entwickeln aber auch „Notfallpläne“, diskutieren die Möglichkeiten, die uns bleiben.

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Frage nach der Bedürftigkeit unserer Patienten. Sie wissen, daß wir unsere medizinischen Dienste zunächst für die arme Landbevölkerung angeboten haben. Patienten zahlten eine Registrationsgebühr von 15 Rupien (etwa 25 Cent), dafür erhielten sie medizinische Beratung und Behandlung sowie die notwendigen Medikamente. Laboruntersuchungen, EKG und Ultrasonographien mußten extra bezahlt werden, sind aber erheblich billiger als bei anderen Doktoren und frei für die Patienten, die gar nichts haben. Während der letzten Jahre hat sich der qualitativ hohe Standard unserer clinic herumgesprochen, wir werden mehr und mehr von Patienten frequentiert, die sich auch eine Behandlung anderswo leisten könnten. An manchen Tagen sind die Patientenzahlen so groß, daß wir sie kaum bewältigen können. Aber es ist nicht nur die physische Belastung der gesamten Belegschaft, es ergeben sich bei uns natürlich auch Zweifel darüber, ob wir noch die „richtigen“ Patienten haben, es stellt sich die Frage: wer ist arm? Sicherlich nicht der Regierungsangestellte, der mit dem Auto oder auf dem Motorrad kommt, nicht der Unternehmer, dessen mobile phone auch während der Konsultation ständig klingelt, nicht der Student eines teuren privaten Colleges und nicht die Lehrerin mit reichlich Goldschmuck. Für diese Patienten, die offensichtlich über ausreichende Geldmittel verfügen, haben wir die freie Medikamentenversorgung bereits eingestellt. Wir Ärzte konnten uns nicht darauf verständigen, Patienten abzuweisen, zumal wir bisher keine festen Kriterien haben. Aber wir haben begonnen, den Patienten Rezepte für die benötigten Medikamente auszustellen, die sie dann in Jagatpura in einem Medical Store einlösen können. Im kommenden Jahr werden wir noch weiter gehen. Es gibt in Indien eine B (below) P (poverty) L (line) – card, sie wird ausgegeben an Menschen mit weniger als 1500 Rupien (etwa 30 €) Familieneinkommen im Monat. Mit dieser Karte lassen sich Beihilfen zu Krankheitskosten, billigere Mieten, rationierte Grundnahrungsmittel etc. beantragen. Wir haben nun beschlossen, diesen Patienten, die im Besitz einer BPL- card sind, unsere Dienste einschließlich der Medikation komplett ohne jede Bezahlung anzubieten. Von allen anderen dagegen werden wir weiterhin Gebühren verlangen und Medikamente nur noch rezeptieren, nicht mehr kostenlos abgeben (Notfälle natürlich ausgenommen). Auch nach Implementierung dieser Beschlüsse werden uns noch reichlich Patienten verbleiben! Einen genauen Überblick haben wir allerdings noch nicht.

Abgesehen von den großen Patientenzahlen geht unsere Arbeit im health centre ungehindert weiter. Es wechseln Patienten mit leichten „Befindlichkeitsstörungen“ mit solchen, die wirklich sehr krank sind. Ein Mann mittleren Alters, Nachtwächter in einem Manufakturbetrieb, erlitt beim Löschen eines Feuers ausgedehnte Verbrennungen im Bereich des Brustkorbs und des rechten Beines. Nach langdauernder Wundbehandlung geht es ihm jetzt so gut, daß er seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. Dankbar beschenkt er uns mit ein paar Hinterglasmalereien aus dem Betrieb. Ein anderer wird mit rheumatoider Polyarthritis hereingetragen und kommt schon nach einer Woche Therapie zu Fuß wieder, um zu berichten, daß es ihm besser gehe. Der kleine Jeetu, von dem ich im letzten Bericht erzählte, ist im Schlaf gestorben, ehe er einen Zustand erreicht hatte, der eine Operation seiner Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte erlaubte. Besser dran war der zehnjährige Aman. Er litt ebenfalls an einer Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte, diese konnte aber in zwei Sitzungen geschlossen werden. Gleichzeitig wurden die bei ihm an beiden Kleinfingern hängenden 6.Finger entfernt. Aman ist immer noch begeistert, wenn er in den Spiegel schaut. Nur für den Schulbesuch ist er weniger zu gewinnen. Ich mußte schon richtig böse werden! Beglückend ist auch die Geschichte von Raima, einem kleinen achtjährigen Mädchen. Sie entwickelte nach einer Windpockenerkrankung eine disseminierte Enzephalitis. Als wir sie ins Kinderkrankenhaus brachten, war sie nicht mehr ansprechbar, ohne Reaktionen, stuporös. Ohne Unterstützung aus unserem Sonderfond hätten die Eltern das Kind nicht behandeln lassen können. Jetzt kann Raima wieder laufen, wieder sprechen, sie ist ein ganz normales, gesundes Kind.

Immer wieder sind es die Kosten, die Eltern davon abhalten, ihre Kinder in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Es sind nicht nur die privaten Einrichtungen, die Geld kosten. Auch in den Regierungshäusern müssen die Eltern zunächst einmal Medikamente, Infusionen, Spritzen, ja sogar Handschuhe besorgen, ehe ihre Kinder behandelt oder operiert werden. Die ärztliche Konsultation ist kostenlos (außer wenn sich unter der Mannschaft jemand befindet, der sich ein Zubrot durch Korruption verdienen möchte...). Da es in Jaipur aber nur eine Kinderklinik gibt, sind die Wartezeiten endlos, oft werden die Patienten wieder unverrichteter Dinge nach Hause geschickt. Auch das ist wegen der unzureichenden Infrastruktur ein kaum zumutbarer Zustand. Es ist nicht einfach, aus zwanzig Kilometer Entfernung ohne Verkehrsmittel am nächsten Tag noch einmal in die Stadt zu kommen! Somit unterbleiben häufig Behandlungen, die absolut notwendig wären: ein durchaus korrigierbarer Klumpfuß bleibt unbehandelt, ein offensichtlich allergisch ausgelöstes Asthma ohne weitere Diagnostik. Klinische Revisionen von Wunden oder auch Röntgenaufnahmen fehlen aus dem gleichen Grund, auch bei erwachsenen Patienten. Manch eine Improvisation ist erforderlich, und es erstaunt mich immer wieder, wie gut das Ergebnis manchmal trotzdem wird!

Wie in jedem Jahr danken wir Ihnen für Ihre Beständigkeit in der Unterstützung unseres Projektes. Wir wünschen Ihnen, die unseren Dienst durch Ihre Spenden erst ermöglichen, ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr. Die Spendenquittungen werden Ihnen wie gewohnt im Januar des neuen Jahres zugehen.

Mit freundlichen Grüßen

(Dr. Marianne Jansen)

Konto 760 Bankhaus Plump BLZ 290 304 00