Jagatpura, Dezember 2001

Liebe Khejri Freunde!
Die Zeit vergeht wie im Fluge! Wieder ist ein Jahr vergangen, und natürlich sollen Sie einen Bericht über das Khejri Projekt haben.
Wir sind weiterhin sehr aktiv und haben in diesem Jahr bis zum 30.November 19398 Patienten in der Clinic gehabt. Das Krankheitsspektrum hat sich nicht verändert, weiterhin haben wir mit allen Arten von Infektionen zu tun, mit Tuberkulose und Mangelkrankheiten. Und weiterhin behandeln wir die Patienten mit allem, was uns hier zur Verfügung steht. Unser Medikamentenbudget ist stark angeschwollen, obwohl wir die meisten Medikamente im Großhandel beziehen. Indien nimmt die Bestimmungen über den Patentschutz nicht so genau, für uns eine positive, weil geldsparende Erscheinung. Auch geben wir alle Medikamente nur in abgezählten Quantitäten für wenige Tage ab. Es passiert aber gar nicht so selten, dass ein Patient zurückkommt und alle Pillen an einem Tage genommen hat. Medikamentöse Therapie ist hier stets eine Gratwanderung: einmal haben die Patienten lange Wege zurückzulegen, so dass wir sie auch nicht zu oft bestellen möchten, zum anderen besteht die Gefahr der Fehleinnahme hochwirksamer Medikamente.
Auch unsere einzelnen Programme laufen weiter. Im “school health programme “haben wir Schulen, deren Absolventen im Jahresrhythmus von uns untersucht werden. Alle akuten Erkrankungen werden sofort behandelt, für länger dauernde Therapien nehmen wir über die Lehrer Kontakt mit den Eltern auf. Seit Oktober 2001 steht uns eine erfahrene Kinderärztin, Dr. Raziya Pendse zur Verfügung, die – neben anderer ärztlicher Tätigkeit – mit einer Engelsgeduld versucht, heranwachsende Mädchen aufzuklären oder auch jungen Müttern zu vermitteln, dass Muttermilch nicht die ausschließliche Ernährung für ein zweijähriges Kind sein kann.
Richtige und ausreichende Ernährung ist auch ein Thema für unseren health worker, Lohit Joshi. Mit den Kindern der Klassen 8 bis 10 geht er diese Fragen durch, weist auf kulturell bedingte Ernährungsprobleme und deren Folgen hin, zeigt Auswege auf. Die meisten Inder sind Vegetarier, müssen daher ihren Eisenbedarf mit grünem Gemüse, ihren Proteinbedarf mit Hülsenfrüchten und Milchprodukten decken. Beides wird in vielen Haushalten nicht ausreichend berücksichtigt, entweder aus Mangel an Wissen oder Mangel an Geld. Es ist nicht selten, dass Schulkinder am Tage nur zwei “rotis” (Fladenbrot), Tomaten, Zwiebeln und “chili”(Pfefferschoten) essen. Tee trinken sie reichlich,(dieser behindert auch noch die Resorption von Eisen!), Milch steht nicht immer zur Verfügung. Das erklärt auch, warum zwölfjährige 145 cm groß und nur 28 kg schwer sind. All den unterernährten Kindern bieten wir eine Zusatznahrung (hergestellt aus Zuckermelasse, Erdnüssen, Sojamehl, Reismehl und Kichererbsenmehl )an, 300 g pro Woche, für die Dauer von drei Monaten. Zur Zeit untersucht eine Doktorantin der University of Rajasthan, ob wir damit etwas erreichen können. Wir sind jedoch nicht immer sicher, dass die Kinder diese Zugabe auch selbst essen und nicht mit dem Rest der Familie teilen. Übrigens lassen wir diese “Müsliriegel” von behinderten jungen Leuten anfertigen, die auf diese Weise sinnvoll beschäftigt werden. Die Rohmasse wird natürlich vorgegeben. So erreichen wir eine Vernetzung von Hilfsprojekten hier vor Ort.

Tuberkulosekranke werden von uns auch weiter betreut. Nachdem die “drop-out” Rate besonders für weiter entfernt wohnende Patienten sehr hoch war, haben wir den Aktionsradius für die DOTS Behandlung (directly observed treatment) der TBC beschränkt. Zur Erinnerung: die Patienten müssen drei Monate lang dreimal pro Woche in die clinic kommen, später einmal pro Woche. Das ist eine erhebliche Belastung. Zudem ist die Behandlung sehr kostspielig. Eine Ausfallrate von über 50% ist weder für die Patienten noch für unsere Finanzen tragbar. Dennoch: Patienten, die “offen tuberkulös” sind und sich nicht einer Behandlung unterziehen, werden von uns immer wieder aufgesucht. Lohit versucht, sie für eine Behandlung zu motivieren und – falls sie das ablehnen- sie zumindest mit Vorsichtsmassnahmen vertraut zu machen, die eine Ansteckung der Familie verhindern. Eine gesetzliche Melde- oder Behandlungspflicht gibt es nicht.

Immer wieder gibt es Einzelschicksale, die uns besonders berühren. Ich hatte im Frühjahr schon in den DOM Nachrichten über Kanta berichtet, ein achtjähriges fast blindes Mädchen mit angeborenem Katarakt auf beiden Augen. Inzwischen hat Dr.Bhargava beide Augen operiert, Kanta wird noch weiter behandelt, kann aber wieder sehen. Der Vater muss allerdings sein Versprechen, sie nun in die Schule zu schicken, noch einlösen.
Erschüttert hat uns Reshma’s Schicksal. Das kleine Mädchen ist eineinhalb Jahre alt und wiegt vier Kilogramm. Die Mutter säugt sie noch. Sie bringt das Kind zu uns, betroffen über das greisenhafte, ausgezehrte Aussehen dieses Kindes. Gleichzeitig fällt aber auf, dass sie eigentlich nicht besorgt ist, auch nicht bereit, etwas zu tun, sich einzusetzen. Nach längerem Befragen enthüllt sich die ganze Tragik: diese Frau hat sechs Töchter, keinen Sohn. Die Familie des Mannes, in der die Frau leben muss, macht sie für dieses “Missgeschick” verantwortlich, bedeutet doch die Geburt eines Sohnes nach wie vor alles für die Familie, Mädchen verursachen nur Kosten. Reshma’s Mutter kann dem Druck kaum noch standhalten, das Schicksal ihres jüngsten Kindes scheint ihr gleichgültig zu sein. Zermürbt von der Missachtung, die ihr entgegenschlägt, vernachlässigt sie ihr Kind, will es aber auch nicht zur Adoption oder in ein Heim geben. Ein solcher Gedankengang ist den Menschen hier fremd. Staatliche Stellen, die wir einschalten könnten, gibt es nicht. Wir können nur auf die Mutter einreden, ihr Zusatznahrung zur Verfügung stellen, ihr bei der Betreuung zur Seite stehen, sie menschlich unterstützen und stärken.

Auch Nadim können wir nicht helfen. Er ist taubstumm, wirkt mit seinen 10 Jahren aber ganz aufgeweckt. Der Mutter habe ich angeboten, die Kosten für eine Spezialschule in Jaipur zu übernehmen, die diese Kinder unterrichtet. Die Familie ist aber nicht bereit oder nicht in der Lage, den täglichen Transport des Kindes nach Jaipur (ca.30 km) sicherzustellen. Sie hat den Kontakt zu uns abgebrochen.
Dagegen ist Salman,4, der Sonnenschein der clinic geworden. Seine schwere Neurodermitis, über den gesamten Körper ausgebreitet, hatte zu Hautdefekten und Wunden geführt. Eine Superinfektion war hinzugekommen, alles war eitrig belegt. Mit täglichen Verbänden und entsprechender Medikation rückten wir dem Problem zuleibe, Salman kann jetzt wieder lachen und herumrennen. Die Verletzungen sind verheilt, mit Oelanwendungen versucht die Mutter den gegenwärtigen Hautzustand zu erhalten. Zwischenzeitlich stellen wir ihr immer wieder eine Tube Salbe zur Verfügung, das Kokosoel kann sie selbst kaufen. Gerade für dieses Kind war ein großer Aufwand erforderlich und der wurde – wie immer bei uns – von Sreeja geleistet, unserer Krankenschwester. Ich möchte sie hier besonders erwähnen. Sie beklagt sie nie, keine Arbeit ist zu schmutzig, zu unangenehm oder lästig. Worum man sie auch bittet: sie sagt nie nein und hat stets ein Lächeln für Patienten und Doktoren. Ohne Sie wäre die clinic um einiges ärmer!
Unsere Bremer Khejri-Freunde wurden durch den Bericht von Tina Haase und Maik Szymanski im Weser-Kurier gut informiert, viele von Ihnen haben sicherlich auch den Film über uns im Phoenix Kanal und im ARD gesehen. So können Sie sich konkret vorstellen, worüber ich sonst nur in Worten berichten kann. Der ARD-Korrespondent in New Delhi, Herr Osterhage, war so freundlich, aus seinem Material noch einen zehnminütigen “Werbefilm” für uns zusammenzustellen. Wenn Sie also irgendeine Organisation wissen, die einen Adressaten für Spenden sucht, bin ich gern bereit, dort einen kurzen Vortrag zu halten, auch mit Film. Erst neulich haben Freunde von uns ihr Geburtstags- und Geschäftsjubiläum mit ein wenig Werbung für unser Projekt verknüpft und dazu benutzt, für uns zu sammeln. Und wenn dabei mehrere Hunderter zusammenkommen, sind wir glücklich und dankbar. Genauso dankbar sind wir all unseren großen und kleinen Spendern, die durch ihre regelmäßigen Gaben unsere clinic aufrechterhalten. Die oben genannten Patientenzahlen beweisen die Notwendigkeit.

Wahrscheinlich wegen der diversen Presse- und Fernsehberichte hatte ich auch in Jagatpura selbst in diesem Jahr mehrere Besucher, die ihr touristisches Programm mit einem Eindruck des “anderen Indien” ergänzen wollten. Sie sind mir stets willkommen! Rufen Sie mich vorher an, damit wir einen Termin ausmachen können. Ich hoffe, dass die politische Lage das Reisen und unsere Arbeit hier nicht unmöglich macht.

Unsere Patienten sind allerdings mehr mit der Sorge um das tägliche Brot beschäftigt, mit dem Versuch, trotz widriger Unstände für ihre Familie zu sorgen, die Kinder gesund zu erhalten.
Wir versuchen zu helfen und bitten daher immer wieder um Ihren Beitrag. Danke für alles, was bis jetzt eingegangen ist. Wir verwenden (immer noch) alles Geld – bis auf die Bankspesen – für das Projekt!
Bitte denken Sie daran, Ihre Daueraufträge auf Euro umzustellen , - vielleicht ist das ja auch eine günstige Gelegenheit, den Betrag zu überdenken....
Die Spendenbescheinigungen für das Jahr 2001 werden zu Beginn des neues Jahres von unserem Kassenwart ausgestellt und Ihnen dann zugesandt.

Ihnen allen frohe Weihnachtstage und die besten Wünsche für das Neue Jahr.

Khejri Verein, Hamburgerstraße 97, 28205 Bremen

Konto 760, Bankhaus Plump BLZ 290 304 00